Chefdirigent Pietari Inkinen (Foto: Andreas Zihler)

"Hier hört man deutlich eine Raumforderung"

  27.09.2019 | 09:00 Uhr

Konzertkritik der 1. Matinée von Jan Brachmann

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 225 | Freitag, der 27. September 2019, S. 11


Der Dirigent Pietari Inkinen versetzt Saarbrücken in Begeisterung und weckt Hoffnung auf einen Konzertsaal

Thomas Kleist, der Intendant des Saarländischen Rundfunks, hatte sich kürzlich ein paar Worte auf Finnisch zurechtgelegt: "Tervetuola, rakas Pietari!" - "Willkommen, lieber Pietari!". Es ist nun nicht so, dass der Dirigent Pietari Inkinen in Saarbrücken völlig neu wäre. Schon 2017 trat er sein Amt als Chef der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern an. Doch jetzt, nachdem bekanntwurde, dass er 2020 Richard Wagners "Ring des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen dirigieren wird, weiß man erst recht, was man in Saarbrücken an ihm hat. Auch Inkinen sei "Exzellenz, made in Saarland", sagte Kleist, direkt an Ulrich Commerçon (SPD) gerichtet, den Minister für Kultur und Bildung im Saarland, der das Konzert zur Saisoneröffnung in der Congresshalle Saarbrücken aufmerksam mitverfolgte.

Das mag etwas übergriffig gewesen sein, ganz falsch ist es nicht. Inkinen hat eine großartige Ausbildung in Köln und Helsinki erhalten und in Australien, Japan, Tschechien und auch Deutschland - zuletzt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen - gezeigt, was er kann. Doch in Saarbrücken hat er mit einem Orchester, das sich vor allem durch seine Aufnahmen mit Stanislaw Skrowaczewski einen Namen gemacht hat, ein traumhaftes Labor, wo er seine eigenen Fähigkeiten als Dirigent erproben und vervollkommnen kann. Schon jetzt ist der Neununddreißigjährige technisch und gestalterisch weiter als manch gleichaltriger Kollege an der Spitze größerer Orchester.

Wie Inkinen in Saarbrücken die symphonische Dichtung "Der Barde" von Jean Sibelius dirigierte, bewies Metiersicherheit: Er kann als Dirigent bei diesem Stück nicht durch tänzerische Motorik oder krachenden Effekt Eindruck schinden. Hier lebt alles von schimmernden Nuancen des Streicherklangs und der tiefen Holzbläser, die den Monolog der Soloharfe stets neu beleuchten. Hier kommt alles auf eine schwer herzustellende Kontinuität der instrumentalen Erzählung an, die nicht auf eingängige Themen und prägnante Rhythmen, sondern einzig und allein auf farbliche Anschlüsse oder eine Konsistenz von Stimmung und Harmonik zurückgreifen kann. Inkinen machte daraus dichte, spannungsreiche Musik; und dass er alle symphonischen Dichtungen von Sibelius mit diesem Orchester auf CD aufnehmen will, ist eine sehr gute Nachricht.

Nun hörte man allerdings am Ende des ersten und dritten Satzes der fünften Symphonie von Sergej Prokofjew, bei den Schlägen von Tamtam, Großer Trommel, Pauken und Becken, dass da im Saal klanglich eine deutliche Raumforderung besteht. Auch die Bläser wurden überpräsent. Die Congresshalle ist hörbar nicht für Musik gebaut. Es knallt; das Saalvolumen ist zu klein. Schon in der Zeit des Chefdirigenten Christoph Poppen wurde zwischen 2007 und 2011 über den Bau eines neuen Konzertsaals nachgedacht. Das alte E- Werk Saarbrücken- Burbach war damals bereits im Gespräch. Inkinen hat es jetzt zusammen mit der frisch berufenen Orchestermanagerin Maria Grätzel, die zusammen mit Marek Janowski schon das Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin zum Erfolg geführt hatte, nochmals besichtigt und wäre begeistert, dort zu spielen - sei es auch nur als Ausweichquartier, falls doch die Congresshalle, die viel besser gelegen ist, zum Konzertsaal umgebaut werden sollte.

Im ganzen Saarland gibt es keinen Konzertsaal, aber ein Orchester, das - vom Saarländischen und vom Südwestrundfunk getragen - überregionales Renommee besitzt. Nun ist auch noch ein fabelhafter Chefdirigent da, der die Hörer aus nah und fern anzieht. Sein Vertrag läuft bis 2021; über eine Verlängerung muss demnächst verhandelt werden. Niemand will, dass Inkinen geht, und auch er selbst ist ein Mann ohne Bindungsängste, der für sich durchaus eine Zukunft in Saarbrücken sieht. Mit etwas politischem Mut könnte aus dieser Situation etwas entstehen, von dem alle Seiten auf lange Sicht profitieren würden.

JAN BRACHMANN

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