Chefdirigent Pietari Inkinen (Foto: Kaupo Kikkas)

„Wir sind voller Energie“

 

Das Interview mit Chefdirigent Pietari Inkinen führte Anne Dunkel im April 2021

Mit dem Orchester arbeiten, Konzerte machen – so vieles hat sich seit der Pandemie verändert. Worauf freuen Sie sich in dieser Spielzeit am meisten?

Hoffentlich wieder live vor Publikum spielen zu können! Diese Atmosphäre ist einfach unersetzlich. Als Rundfunkorchester haben wir trotz Lockdown das große Glück, viele Menschen nach wie vor über das Radio oder digital erreichen zu können. Aber wir wollen nicht und dürfen nicht die Nähe zu unserem Publikum verlieren. Wir müssen das Feedback spüren, um wirklich gut zu sein. Perfekt ist das Konzert nur, wenn wir unmittelbar für Menschen spielen können. Die DRP ist voller Energie und Motivation, unser Hunger auf Konzerte ist riesig! Die Kraft der Meisterwerke bleibt ewig, aber jetzt müssen wir auch wieder die Wege gehen, um sie direkt zu den Menschen zu bringen.

Vor mehr als zehn Jahren haben Sie die DRP zum ersten Mal dirigiert, jetzt reden wir bereits über Ihre 5. Spielzeit als Chefdirigent. Was ist geplant?

Seit der CD mit Ausschnitten aus „Siegfried“ wünsche ich mir sehr, Wagner auch im Konzert mit der DRP realisieren zu können. Zwei Konzerte mit Ausschnitten aus „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ haben wir bewusst an das Ende der Saison gelegt, um die Chance zu erhöhen, dass sie dann auch wirklich stattfinden können. Ich hoffe, es klappt! Das wird dann auch kurz vor meinem Probenbeginn für die Neueinstudierung des Ring-Zyklus‘ in Bayreuth sein. Mit dem Tenor Stefan Vinke und der Sopranistin Daniela Köhler bringen wir geballte Bayreuth- Erfahrung in die konzertanten Aufführungen nach Saarbrücken und Mannheim. Stefan war mein Siegfried in Australien, mit ihm habe ich unzählige gemeinsame Aufführungen gemacht. Daniela kenne ich auch gut, sie kommt aus dem aktuellen Bayreuther „Ring-Cast“. Als besondere Ehre empfinde ich es, unseren wichtigsten Konzertbeitrag zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ dirigieren zu können. Das bedeutet mir sehr viel. Michael Barenboim kommt – wir sind fast gleichaltrig und haben als Kinder und Jugendliche gemeinsam Meisterkurse bei Itzhak Perlman besucht. Er spielt das Mendelssohn Violinkonzert. Von Erwin Schulhoff habe ich seine sehr hörenswerte 2. Sinfonie ausgesucht, dazu ein entdeckenswertes Stück von Wolfgang Korngold, diesem Meister der Klangfarben. Es ist wichtig, das Lebenswerk jüdischer Komponisten lebendig zu halten.

Wie geht es mit den CD-Aufnahmen der Sinfonien von Dvořák und Prokofjew weiter?

Auch an unserem Dvořák-Zyklus wollen wir weiterarbeiten. Seine 7. und 8. Sinfonie sind im Konzert geplant, danach werden wir die Aufnahmen einspielen. Das Projekt „Prokofjew- Sinfonien“ liegt in dieser Saison leider auf Eis, die Besetzungen sind zu groß. Auf Prokofjew ganz verzichten werden wir aber nicht: Mit der koreanischen Pianistin Yeol Eum Son erarbeiten wir das 3. Klavierkonzert, mit der Geigerin Arabella Steinbacher das 1. Violinkonzert.

Von Rundfunkorchestern wird erwartet, dass sie sich auch mit Repertoirebereichen auseinandersetzen, die im kommerziellen Klassikbetrieb zu kurz kommen. Welche Akzente setzen Sie in diesem Sinne?

Wir haben den estnischen Komponisten Jüri Reinvere beauftragt, ein Orchesterwerk für uns zu schreiben. Die Uraufführung ist im Oktober geplant. Ich kenne Jüri Reinvere, ich kenne einige seiner Werke und freue mich auf dieses neue Stück Musik. Er lebt schon lange in Deutschland. Hier ist er vor allem als Opernkomponist und auch als Feuilletonist bekannt. Ja, und Jean Sibelius: Der ist einfach fest in meiner finnischen DNA verankert. Es gibt immer noch so viel originelle Musik von ihm, die meines Wissens nach in Deutschland völlig unbekannt und nicht zu hören ist. Deshalb spielt er in meinen Programmen auch immer wieder eine Rolle. In dieser Saison werden wir zum Beispiel die Tondichtung „Okeaniden“ vorstellen.

Und zum Saisonstart haben Sie den finnischen Pianisten Antti Siirala mit einem Mozart-Konzert eingeladen.

Antii war mein langjähriger Duopartner, als ich noch verstärkt als Geiger unterwegs war. Wir haben schon hunderte Konzerte zusammen gemacht, große Tourneen, auch als Solist in Beethoven- und Brahms-Konzerten habe ich ihn öfter engagiert. Er ist ungefähr so alt wie ich, ist also kein rising-star mehr, eher eine Art „Richter-Typ“ ohne unnötige Show oder großes PR-Getue. Es gibt ja wahnsinnig viele exzellente Solisten. Antii Siirala punktet einfach mit seiner Kunst. Dass ich mit ihm als Freund und Landsmann die neue Saison eröffnen darf, ist wunderbar.

Auch der Geiger Joseph Špaček kommt zum ersten Mal zur DRP.

Er ist Tscheche, ich habe ihn natürlich für das Violinkonzert von Dvořák engagiert. Auf seinen Namen bin ich lustigerweise in Neuseeland zum ersten Mal gestoßen. Er ist unglaublich talentiert, ist aber noch nicht im Zentrum der ganz großen Klassikwelt angekommen, wie Künstler der Star- Kategorie, die man in dieser Saison auch bei uns hören kann: die Geigerin Arabella Steinbacher, die Pianistin Elisabeth Leonskaja zum Beispiel oder den Pianisten Alexej Volodin.

Auch wenn die schon fest geplante Südkorea/Japan-Tournee der DRP leider verschoben werden muss, gibt es doch eine ganze Reihe von Gastspielen.

Ja, mit Korea/Japan war alles auf gutem Weg: Wir erinnern uns an die grenzenlosen Begeisterungsstürme des koreanischen Publikums während der letzten Tournee. Die Wiedereinladung ist längst da, unsere Prokofjew-CD ist auf dem koreanischen Markt ein großer Erfolg. Die Tournee nach Korea wird nun voraussichtlich aber doch noch im Dezember dieses Jahres stattfinden. Auch der Weg nach Japan, wo ich auch als Chef des Japan Philharmonic Orchestra tätig bin, ist wieder geebnet. Ganz besonders freue ich mich jetzt auf das Abschlusskonzert des Rheingau Musik Festivals und auf Ludwigsburg. Dort habe ich einige Spielzeiten als Chefdirigent der Ludwigsburger Schlossfestspiele verbracht. Jetzt komme ich zum ersten Mal zurück. Meine vielen Freunde im Publikum wiederzusehen, wird schön sein.

Auch als DRP-Chef ist Ihnen der Kontakt mit dem Publikum wichtig. Das Konzertformat „Hin und Hör!“ ist eigens dafür gemacht, Menschen zum Konzertbesuch zu animieren, die bislang selten oder nie kamen.

Solche Angebote brauchen wir für Leute, die nicht oder noch nicht zu unseren Stammkunden gehören. Es ist egal wie ich angezogen bin, ob ich mich schon Wochen vorher um ein Ticket gekümmert habe, ob ich das Stück kenne oder nicht: Wer zu „Hin und Hör“ kommt, dem verspreche ich das rundum Paket, eine schöne, spannende Stunde Musik mit unseren Musikerinnen und Musikern, mit dem Moderator Roland Kunz und mit mir.

Orchesterarbeit, wie man sie kennt, hat die Krise nicht zugelassen. Doch gerade in Ausnahmesituationen ist die Kreativität und Experimentierlust erfahrungsmäßig am größten. Gab es auch positive Überraschungen?

Absolut! Ja, die gab es auch! Stichwort Bartók: Er hat geniale Musik geschrieben. Für mich ist er ein fantastischer Komponist, dessen Solo-Konzerte ich in der vergangenen Saison verstärkt in den Fokus rücken wollte. Die Besetzungsstärke ließ das aber zu keinem Zeitpunkt zu. Und trotzdem darf ich heute sagen: Nie haben wir mehr Bartók gespielt. Durch die vorgeschriebenen Abstandsregeln fanden meist nur maximal 40 Musikerinnen und Musiker Platz auf der Bühne, wir haben also kleiner besetzte Stücke programmiert und oft auch Stücke gespielt für einzelne Orchestergruppen. Und so kam Bartók über Umwege doch wieder ins Spiel: sein Divertimento für Streichorchester, seine Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta oder eine großartige Bearbeitung seiner Klavierstücke für Schlagzeugensemble. Auch unsere Bläser konnten glänzen, zum Beispiel in der Eröffnungsfanfare „Towards the light“, die Olli Mustonen zur Saisoneröffnung extra für uns geschrieben hat. Das waren ganz intensive, fast kann man sagen intime Erfahrungen und Probenwochen, die uns als Orchestermitglieder musikalisch einander sehr nahe gebracht haben. Davon werden wir auch weiter profitieren, denn so haben wir unser Repertoire erweitert und ganz neu ausgeschöpft. Man sieht: „Flexibilität“ ist in unserem Job zu einem Schlüsselbegriff, zu einem „keyword“ geworden. However, ich wünsche mir, dass wir endlich wieder mit unserem großen Orchester loslegen können.

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