DRP mit Chefdirigent Pietari Inkinen (Foto: Werner Richner)

"Musik trotz(t) Corona"

 

Die Deutsche Radio Philharmonie reagierte mit einem Perspektivwechsel auf die Ausnahmesituation

Das Orchester, Oktober 2020, S. 47


Es ist halt so, der Konjunktiv regiert das Jahr, dieser fiese Irrealis: Eigentlich hätte Pietari Inkinen diesen Sommer ja in Bayreuth dirigiert, den Ring. Und wenn der finnische Chef im mystischen Abgrund wie in der 100-Grad-Sauna geschwitzt hätte, beäugt wie belauscht von der halben Musikwelt, hätte das nicht auch viel über sein Heim-Orchester ausgesagt, die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern? Klar, täte es, nein, tut es. Setzt die DRP mit ihrem forschen Captain doch den schon vor Jahren noch unter Karel Mark Chichon begonnenen Steigflug in Sachen Klasse unbeirrbar fort, sogar mit noch mehr Schub. Wie gerade wieder eine Nominierung für den Preis der deutschen Schallplattenkritik belegt - mit der beglückenden DRP-Einspielung der Prokofjew-Sinfonien Nr. 3 und Nr. 6 unter Leitung des 40-jährigen Finnen. Und just mitten in diesem schönsten Höhenflug nötigt das Corona-Virus zum Grounding. Bitter.

Zu Beginn stemmte man sich in Saarbrücken und Kaiserslautern allerdings noch nach Kräften gegen den erzwungenen Publikumsverzicht. Lars Vogt etwa war im März gleich für ,,alle Fünfe" - Beethovens Klavierkonzerte - verpflichtet, spielend an den Tasten als auch leitend. Gewiss wäre das ein Beethoven-Fest geworden. Dann aber hieß es für die Besucher: Ihr müsst leider draußen bleiben. Der Pianist, Dirigent und Musikhochschul-Professor jedoch stöberte fix in seinem beeindruckenden Repertoire, wählte unter anderem Mozarts F-Dur KV 280, Beethovens Bagatellen op. 126, Bachs Goldberg-Variationen und Mussorgskys Klaviermonument Bilder einer Ausstellung aus. Und offerierte das dem Saarländischen Rundfunk (SR) als wohlklingende Alternative für die Sendeplätze auf SR2 Kulturradio, die sonst die DRP mit ihren Konzerten live bespielt. Vogt nahm mit der DRP zwei Klavier-Recitals auf, in denen er sich durchweg als feinsinniger Interpret präsentiert; es müssen ja nicht immer, auch bei Mussorgsky nicht, die wuchtigen Pranken sein.

Musik fürs Radio ist natürlich einerseits Daseinszweck eines Rundfunksinfonieorchesters wie der DRP. Trotzdem leidet man hinter den Pulten auch unter dem Applausentzug. Selbst Husten, Niesen, Bonbonknistern soll mancher auf dem Podium in den vergangenen Monaten schon vermisst haben. Aber es musste eben ohne gehen. Und von einem Orchester-Lockclown war ja auch keine Rede. ,,Musik trotz(t) Corona" gab die DRP schnell als Losung aus. Man probierte es mit zugegebenermaßen sehr kleinen Besetzungen und ließ Musiker mal das Programm in die Hand nehmen - was durchaus einen reizvollen Perspektivwechsel brachte.

Was sonst nämlich im Orchesteralltag untergeht, wurde nun einstudiert und im Großen Sendesaal des SR aufgenommen. Barocke Zwiesprachen von Flöte und Gitarre waren darunter, Hindemith-Stücke für Klarinette und Kontrabass, Schlagzeug mal frei improvisiert, mal als Klassiker von Mark Glentworth. In Summe kam so auch eher „exotische" Kammermusik zusammen - zur Freude der SR 2 Kulturradio-Hörer. Klar war die DRP auch per Stream im weltweiten Netz präsent und via eigenem YouTube-Kanal auch nachzuerleben. Und wie andere Orchester auch machten sich die Musiker zudem zu Krankenhäusern und Seniorenheimen auf, brachten vielen Menschen im Saarland und Kaiserslautern ,,Ständchen".

Das Zurück in den Probenalltag war dann gar nicht so einfach. Anfang Juli fanden Pietari Inkinen und die DRP nach längerer Abstinenz in der Saarbrücker Congresshalle endlich wieder zusammen. Echtes Wiedersehensglück war spürbar, zumal Inkinen seinen Vertrag mit der DRP bis 2025 verlängert hat. Proben in Corona-Zeiten aber bedeutet auch viel Verzicht. Maximal dreißig Musiker durften zugleich aufs Podium, und höchstens vier Bläser. Plexiglasscheiben sollten just deren Aerosol-Ausstoß kanalisieren. Akustisch kam das allerdings nicht immer gut an. Und auch der Chefdirigent fühlt sich in seiner Plexiglas-Kabine erstmal eingezwängt. Ob das in der Saison 2020/21 gutgeht?

Das Programm dafür haben Inkinen und Orchestermanagerin Maria Grätzel erst spät präsentiert, und dennoch war vieles natürlich schon vor der Pandemie geplant und Verträge gemacht. Auf dem Cover des knapp 150 Seiten starken Programmbuchs hebt eine Montgolfiere ab - vielleicht wird sie ja zum optimistisches Symbol dafür, dass es doch eine halbwegs normale Saison werden könnte. Allerdings musste schon für das Eröffnungskonzert umdisponiert werden: Inkinen kann nicht mit Bruckners großer Sinfonie Nr. 7 starten - wie gewollt. Und statt Bartóks zweitem Klavierkonzert spielt Pianist Olli Mustonen Beethovens zweites Klavierkonzert. Einstündige Konzerte ohne Pause und mit deutlich weniger Publikum im Saal als bei den zuletzt oft ausverkauften Konzerten sind fürs Erste vorgesehen: Sie gelten der kleineren Besetzung, Mahlers Kindertotenlieder in der Kammerorchester-Fassung etwa, mit der wunderbaren Elisabeth Kulman. Kein Notprogramm, kein Konjunktiv - ein Modus für das Machbare halt, das aber dennoch viel erwarten lässt.

Oliver Schwambach

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