Chefdirigent Pietari Inkinen (Foto: Andreas Zihler)

Der große Unbekannte

  02.08.2019 | 09:00 Uhr

Jan Brachmann | Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 225 | Freitag, der 27. September 2019, S. 11


Generationen wechsel in Bayreuth: Wer ist der junge Pietari Inkinen, der 2020 bei den Wagner-Festspielen den „Ring des Nibelungen“ dirigieren wird?

Im Smoking und mit Sonnenbrille, wie der Geheimagent Ihrer Majestät, steht Pietari Inkinen während der ersten Pause der„Tannhäuser“-Premiere unterhalb des Festspielhauses in Bayreuth. Er hat seine Ruhe und lächelt wie einSchelm. Kaum einer erkennt ihn. Als Katharina Wagner, die künstlerische Leiterin der Bayreuther Festspiele, bekanntgegeben hatte, Inkinenwürde 2020 alle vier Opern in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ dirigieren, ging das Getuschel unter den Journalisten los. „Kennen Sie den? Haben Sie schonmal was gehört mit ihm?“

Wer keine Konzerte, sondern nur Opernpremieren an großen Häusern in Deutschland besucht, hatte tatsächlich bislang wenig Gelegenheit, mit Inkinen Bekanntschaft zu machen. Aber 2014 dirigierte der heute 39 Jahre alte Finne im Konzerthaus Berlin die dramatische Chorsymphonie „Kullervo“ von Jean Sibelius. Musik über einen verwahrlosten Mann in archaischerZeit, der unwissentlich die eigene Schwester verführt. Inkinen stellte eine orchestrale Spannung her, die jedem Hörer das Blut in den Adern rasen ließ, bis alles in einem Beckenschlag explodierte und nach diesem Höhepunkt befreit losflutete. In diesem Moment zeigte sich ein Dirigent, der ohne Worte erzählen kann und große Apparate im Griff hat. Zur selben Zeit hatte Inkinen an der Oper in Melbourne bereits Wagners „Ring“ erarbeitet. Inkinen wollte ursprünglich Geiger werden. Er studierte bei Vadim Repin und kam mit siebzehn Jahren nach Deutschland, um bei Zakhar Bron in Köln zum Meister zu werden. Bron, der vielen Geigern zu einer großen Karriere verholfen hat, war wütend und enttäuscht, als Inkinen beim legendären Jorma Panula in Helsinki ein Dirigierstudium begann. Inkinen kann immer noch auf einem Spitzenniveau Geige spielen, aber das Dirigieren füllt ihn nun komplett aus.

Karriere im Eiltempo

Schon drei Jahre nach seiner Diplomprüfung wurde er Chefdirigent des New Zealand Symphony Orchestra. Ein Jahr später kam der Posten als Gastdirigent beim Japan Philharmonic Orchestra dazu. 2015 wurde er Chef der Prager Symphoniker und des Orchesters der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Dass sein Beruf mit langen Flugreisen verbunden ist, schätzt er durchaus, weil er dann ohne Mobiltelefonempfang in Ruhe nachdenken und studieren kann. In Ludwigsburg hat er dieses Jahr seine letzte Saison dirigiert. Ohnehin ist er seit 2017 bei der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern als Chef gefordert. Er träumt von einem ordentlichen Konzertsaal in Saarbrücken, als wir uns in Bayreuth unterhalten: „Es müsste doch möglich sein, einen klassischen Schuhkarton mit guter Akustik, Platz für 120 Musiker und Chor auf der Bühne und maximal 1700 Plätzen zu bauen. Der muss ja gar nicht so teuer sein wie die Elbphilharmonie.“ Inkinen kennt sich aus in Deutschland und spricht die Sprache hervorragend. Seit einigen Jahren lebt er in Basel, wo seine Partnerin arbeitet.

Über das Engagement in Bayreuth, das für ihn weniger überraschend kam als für die weite Öffentlichkeit, ist er glücklich. Er bringt ja nicht nur Wagner-Erfahrung aus Australien mit. „Man braucht auch das große symphonische Repertoire dazu, viel Bruckner, viel Mahler, um orchestral erzählen, weite Zusammenhänge herstellen zu können“, sagt er. Und in derMusik von Sibelius, dessen sieben Symphonien er schon zweimal komplett auf CD aufgenommen hat, stecke ohnehin viel Wagner. Sibelius hatte Wagners „Parsifal“ in Bayreuth gehört; es war ein erschütterndes Erlebnis für ihn. Spuren von„Parsifal“und „Tristan und Isolde“ kann man, so Inkinen, vielfach bei ihm entdecken.

In der zweiten Pause der „Tannhäuser“-Premiere sitzt der junge Dirigent mit der Frau an seiner Seite auf der Terrasse des Festspielrestaurants im vergnügten Inkognito. Zusammen genießen sie einen letzten Sommer des Unbehelligtseins.

JAN BRACHMANN

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